Eine Gruppe von Mitgliedern der Musikkapelle Mils bei Imst errichtete am Samstag, dem 24. September 2011 am “St. Antoni” (Milsberg) ein neues Bildstöckl mit dem Hl. Antonius.
Dazu ein Bericht, verfasst von Dr. Bernhard Pichler:
Zurück zu den Wurzeln – oder: Wie der Hl. Antonius ein Comeback feierte
Wenn ich daran denke, wie alles angefangen hat, fällt mir Wilhelm Busch ein, der alte Meister stilvoller Lebensweisheiten: „Aber hier, wie überhaupt, kommt es anders, als man glaubt“.
Eigentlich sollte es nur ein kleiner Impulsfilm am Antoniusboden für das Frühjahrskonzert 2012 werden. Motto und Schwerpunkt des Konzertes wird das Reisen sein und der Heilige Antonius ist, neben etlichen anderen Patronaten, auch der Schutzheilige für die Reisenden. Die Kulisse im Wald mit dem passenden Namen bot sich als attraktiver Hintergrund für den Einstieg ins Frühjahrskonzert geradezu an. Was ich nicht wusste: Dem Hl. Antonius wurde dort bereits seit langer Zeit mit einer kleinen, geschnitzten Holzfigur, vielfach nur Eingeweihten bekannt, Reverenz erwiesen.
Wie aber kam der Antonius in den Wald ob Mils und dieses Areal zu seinem Namen? Bis 1968 war die Larsenn eine Alm hauptsächlich für Schönwieser Galtvieh und Kälber, betreut durch die Alpinteressentschaft Langesberg-Larsenn. Damals, beim beschwerlichen Almauftrieb, wurde das Vieh bis zum „Kuahbouda“ gebracht, ein Stück ebener Fläche mit Gras zum Weiden. An diesem Ort wurde genächtigt, bevor es am nächsten Tag weiterging in die Larsennalpe.
Einmal wurde des Morgens Vieh vermisst. Ein Stoßgebet zum St. Antonius von Padua, dem Schutzpatron für Verlorenes, half mit, das Vieh wieder zu finden. Als Dank wurde dort eine geschnitzte Holzfigur des Heiligen Antonius angebracht. Seither nennt man das Gebiet des „Kuahbouda“ auch Sankt Antoni.
Ich wollte die Figur in den Film einbauen und begann mit Recherchen, die mich über die Dorfchronistin Leni, weiter zum Zeitzeugen und Hirten a.D. Otto Westreicher bis zur Alpinteressentschaft Langesberg-Larsenn und schließlich zu Herbert Praxmarer führten. Dieser hatte den Antonius, welcher jahrzehntelang dem Wetter ausgesetzt war, restauriert und mit einem stilvollen Bildstöckl ein neues Zuhause gegeben. Jetzt war Gelegenheit, die Statue dem ursprünglichen Standort wieder zu zuführen.
Nennen wir es schicksalhafte Fügung, oder hatte von OBEN wer die Finger im Spiel: das Filmprojekt wurde in der Priorität zurückgereiht, dafür residiert jetzt ein Marterl über dem St. Antoni-Boden.
Die Art und Weise, wie also Mils zum Hl. Antonius gekommen ist, entspricht irgendwie dem Lebensweg dieses Mannes. Er ist nicht den geraden, leichten Weg gegangen. Geboren 1195 in Lissabon, trat er als Fünfzehnjähriger den Augustinerchorherren bei. Jahre später stand der junge Geistliche unter der trauernden Volksmenge, als fünf Franziskanermönche, die in Marokko ermordet worden waren, beigesetzt wurden. Tief beeindruckt von diesen Ereignissen, beschloss er, dem Franziskanerorden beizutreten, den Namen Antonius an zu nehmen und als Glaubensbote nach Afrika zu gehen. Kaum eingetroffen, erkrankte er so schwer, dass er monatelang ans Bett gefesselt war. Geschwächt und tief unglücklich musste er einsehen, dass es für ihn nur noch die Rückkehr nach Portugal gab. Auf der Seereise Richtung Heimat entschied sich das Schicksal des Franziskanermönchs endgültig, als ein schwerer Sturm das Schiff an die Küste Siziliens verschlug. Antonius begab sich von dort nach Assisi, wo Ordensgründer Franziskus gerade zum Generalkapitel, dem Leitungsgremium des noch jungen Franziskanerordens, geladen hatte. Nach und nach offenbarte sich dann die hohe theologische Bildung und außergewöhnliche Rednerbegabung des Mönchs aus Portugal. Italien hatte einen der begeisterndsten Prediger der gesamten Kirchengeschichte entdeckt und er selbst seinen Weg nun gefunden.
Es war die hochmittelalterliche Epoche, in die Antonius hineingeboren wurde, eine unruhige Zeit. Die Menschen suchten Richtlinien und Halt bei der Kirche. Sie fanden beides nicht. Die Kirche war durch und durch klerikal verknöchert und verbrauchte ihre Energie in politischen Streitigkeiten um Macht und Einfluss. In vielen Gläubigen wuchs die Überzeugung, die Kirche müsse eine andere, müsse erneuert werden. Und so brachen gerade in dieser Zeit – 12./13. Jahrhundert – quer durch Europa Erneuerungsbewegungen (zB. Katharer, Albigenser, Waldenser) auf, welche man in der heutigen Sprachregelung leicht als „Kirche von unten“ oder „Wir sind Kirche“ bezeichnen könnte.
Blut und Feuer – die Ketzerkriege – das war die schreckliche Antwort der Kirche und der weltlichen Fürsten und Könige. Sie wurden unter Lobgesängen auf Gott geführt. Für ihn glaubte man sie zu unternehmen. Dieser erbitterte Kampf gegen die „Abweichler“ vom Glauben der Kirche findet in einer Epoche großer sozialer Spannungen statt. Die Kluft zwischen Arm und Reich hatte sich vergrößert. Antonius und natürlich auch Franz von Assisi stellten sich damals ausdrücklich auf die Seite der Armen. Unglaublich aber wahr, noch heute gilt in Italien das Schuldnergesetz vom März 1231, das auf eine seiner Predigten zurückgeht: Dass ein Schuldner nur noch mit seinem Besitz, nicht mehr aber mit seiner Person und seiner Freiheit haftet. Das war nichts Geringeres als die Überwindung der inhumanen Leibeigenschaft.
Antonius lebte die franziskanische Armut überzeugend und konnte so mit seinem Lebensstil, der mit den Predigerworten übereinstimmte, viele überzeugen. Der Ordensgründer Franz von Assisi ernannte ihn schließlich zum ersten theologischen Lehrer seines Ordens, zum Lehrmeister der Franziskaner. Wegen seiner unvergleichlichen Beredsamkeit und seiner Volksnähe erlangte Antonius schon zu Lebzeiten einen außerordentlichen, weit über seinen Wirkungsraum hinaus reichenden Bekanntheitsgrad. In seinen Predigten kritisierte er die sozialen und politischen Verhältnisse, die machtverliebte kirchliche Hierarchie und machte sich so zum Fürsprecher der Armen, Außenseiter und Entrechteten. Am 13. Juni 1231 starb er in Padua, bereits ein Jahr später wurde er heiliggesprochen, nach dem raschesten Heiligsprechungsprozess in der Kirchengeschichte. Bis heute fasziniert er als Volksheiliger, offenbar auch in Tirol. In Nord- und Osttirol sind nicht weniger als neun Kirchen und 52 Kapellen diesem Heiligen geweiht (auch Brunnen, wie der Antoniusbrunnen am Imster Stadtplatz beweist). Das bedeutendste Tiroler Baudenkmal des Heiligen steht zweifellos in Rietz (zit. Dr. Franz Caramelle, Kunst- u. Kulturhistoriker, bis 2008 Landeskonservator von Tirol) mit einem eindrucksvollen Deckenfresko, welches das berühmte Eselwunder von Rimini darstellt. Dort gibt es auch eine Besonderheit: Bei der Herz-Jesu-Prozession wird von der Schützenkompanie Rietz seit jeher die große Barockstatue des Hl. Antonius mitgetragen. In Admiralsuniform. Zurück zu führen ist dies auf sein Einwirken bei der Befreiung der spanischen Stadt Alicante von den algerischen Besatzern. Wer an erfrischender Originalität interessiert ist, besuche die Antoniuskirche in Ötzerau; dort erzählen die Deckenmalereien von den vielen Wundertaten des Heiligen Antonius von Padua.
Die geschnitzte Holzfigur des Antonius am ehemaligen „Kuahbouda“ ist – antik wäre zu viel gesagt – aber doch bejahrt. Die letzten lebenden Milser, welche bei den Schönwieser Larsennbauern Dienst taten und ihn immer schon am „Kuahbouda“, am Stamm einer stattlichen Kiefer hängen sahen, schätzen diese auf 80, 90 Jahre.
Man kann es nüchtern sachlich sehen, und die Statue für sich als sakrales Kleindenkmal definieren; oder mehr von der religiösen Seite und dabei den Heiligen – Aspekt in den Vordergrund stellen.
Selbstverständlich kann man den Sinn der Heiligenverehrung in Frage stellen. Aber man sollte wissen, dass in einer Zeit, in der Gesundung und Heilung nicht Kraft medizinischer Leistung erfolgten, sondern eher einem Wunder glichen, die Heiligen ein ständiger Begleiter von der Geburt bis zum Tode waren. Sie gaben den ersten Ansprechpartner bei Krankheiten, bei Sorgen und den verschiedensten Alltagsnöten und Unbillen des Lebens.
Antonius‘ Spezialpatronat ist jenes des Helfers beim Auffinden verlorener Dinge, liebevoll wird er deshalb auch „Schlampertoni“ genannt. Ihn aber auf den Leiter des himmlischen Fundbüros zu reduzieren, wäre zu kurz gegriffen. So ließ seine Beliebtheit seine Patronatsarbeit gewaltig anschwellen, er ist auch Fürsprecher der Armen (wer erinnert sich noch an das Antoniusbrot), außerdem Schutzpatron der Sozialarbeiter, der Liebenden und Eheleute, der Bäcker, Bergleute, Reisenden; er wird angerufen für eine glückliche Entbindung, aber auch gegen Unfruchtbarkeit, Fieber und Viehkrankheiten.
Welchen belebenden Sinn könnte man nun dieser Holzfigur des „Il Santo“, des Heiligen, wie er in Italien kurz und respektvoll genannt wird, zukommen lassen? Johann Wolfgang von Goethe hat für diesen Fall eine geistreiche Formulierung parat: „Ein Mensch braucht Wurzeln und Flügel.“ So ist es. Die Flügel dienen der Weiterentwicklung. Sie tragen über Visionen zu den Zielen. Und aus den Wurzeln wird Kraft geschöpft. Die Dorfgeschichte Mils‘ beispielsweise ist so eine Wurzel. Darum sollten wir sie kennen und der Spurensuche im eigenen Lebensraum Bedeutung einräumen. Viele kennen die historischen Schätze gar nicht mehr, wissen nicht, wo sie liegen oder welche Bedeutung sie einst hatten. Darum ist der, seiner ursprünglichen Heimat wiedergegebene Antonius, nicht nur irgendeine Heiligenfigur irgendwo im Wald. Sie gibt als Relikt Zeugnis der harten bäuerlichen Welt, der Lebensweise der Vorfahren, eines Existenzkampfes, der den Charakter unserer Region und der darin lebenden Menschen prägte. Über solche Dinge Bescheid zu wissen, kann durchaus inspirierend sein.
Helfer, Denker & Unterstützer bei diesem Projekt:
Agrargemeinschaft Mils, Gemeinde Mils, Bgm. Markus Moser, Vbgm. Thomas Thurner, Hartmut Neurauter, Herbert Praxmarer, Formbeton Praxmarer, Margit Praxmarer, Theo & Michael Hammerle, Othmar Praxmarer als Zeitzeuge,
Otto Westreicher als Zeitzeuge und ehem. Hirte, Hansjörg Praxmarer, KFZ Richard Rueland, Otto Westreicher jun., Joschy Huber, Peppi Haider, Seppl Mark, Bernhard Pichler und die “Sherpas” von der Musikkapelle Mils:
Heinrich Praxmarer, Daniel Thurner, Laura Pohl, Mathias Schöpf, Alexander Hammerle, Peter Thurner, Markus Moser, Edwin Praxmarer, Peter Praxmarer, Andreas Rueland, Michael Agerer und Bernhard Praxmarer.
Wer sich körperlich und/oder kontemplativ ertüchtigen möchte, dem sei eine Wanderung zum Antonius anempfohlen. Mit ein paar Farbtupfern & Wegzeigern werden wir demnächst die „Große“ und die „Kleine Antoniusrunde“ ausweisen. (Beitrag von Dr. Bernhard Pichler)
Nachfolgend Fotos von der Errichtung des Bildstöckls am St. Antoni:
Fotos von Margit Praxmarer, Pepi Haider, Bernhard Pichler, Thomas Thurner, Peter Thurner