Bergsteigen vor 130 Jahren in der Larsenn

Anton Spiehler (1848 – 1891) war ein deutscher Alpinist und gilt als Erschließer der Lechtaler Alpen. Dazu zählen seine ersten Routen-Begehungen des Bergwerkskopfs, der Schlenkerspitze in den Jahren 1883 und 1885 und die Erstbesteigung der Silberspitze 1886. Nach ihm ist auch der Spiehlerturm im Steinseegebiet benannt.
Das Larsenntal bei Mils bei Imst
In der Zeitschrift des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins vom Jahr 1887 schrieb Anton Spiehler folgende Berichte über seine „Ersten Routen-Begehungen“ zum Bergwerkskopf und zur Schlenkerspitze:

Erste Tour ins Lorsenn (Larsenn)
Originalbericht von Anton Spiehler aus dem Jahr 1883

Am Nachmittag des 25. August 1883 traf ich mit Herrn Professor v. Vogl, damals Vorstand der Section Imst, in Mils ein, wo wir durch das Lorsennthal einen Versuch machen wollten. Als Begleiter war uns Schuhmachermeister Praxmarer, genannt Hanneslois, empfohlen worden. Wir fanden ihn in vollster Ausübung seines Berufes, doch sagte er zu, sofort in die Wirtschaft nachzukommen, um uns heute noch zur Bauhofsalpe zu begleiten. Dennoch kamen wir erst um 6 Uhr zum Abmarsch. Der nicht mehr jugendliche Meister hatte sich in den verwegenen Gebirgssohn verwandelt und die Donnerbüchse über den Schultern gemahnte an die Freiheitskämpfer seiner Ahnen. Gleich bei Mils zieht der Weg am linken Ufer der Mündungsklamm 1 Stunde lang sehr steil und schlecht den waldigen Hang des Lakesbergs hinan. Alle Achtung vor den Viehherden, die alljährlich hier auf- und abklettern. Ein an einem Baum befindliches Bild des hl. Antonius verkündet das Ende des beschwerlichen Anstiegs (1260 m) über den Kühboden zieht nun der Weg meist durch Wald mäßig empor. Nach einigen Minuten mündet rechts der von Imst über Gunglgrün führende Waldweg ein. Unpassierbare Felsabbrüche treiben den Steig in die Region des Krummholzes, bis durch Sprengungen in dem felsigen Gehänge entschiedener die Richtung thalein aufgenommen werden kann. Die gesprengte Wegstrecke heisst „am Sölderle“. Das Thal selbst erschien mir als das wildeste in den Lechthaler Alpen. In enger Felsklamm rauscht der Bach. Die Dunkelheit war bereits angebrochen, als der stets hoch bleibende Weg in eine etwas größere Runse einbog und so zu einem sogenannten Gufel führte, einem überneigenden Fels von einigen Mannslängen. Ein schwacher Quell mit kleiner Holzrinne rann unter dem Fels hervor. Daneben war in einem niedrigen Holzstock ein Bild der hl. Magdalena eingelassen. Da ein steinzeitliches Bivoiak im Hochgebirge ebenso romantisch als belehrend sein musste und die zur Zeit unbezogene Bauhofalpe auch keinen besonderen Comfort in Aussicht stellte, waren wir rasch zum Bleiben entschlossen. Wir schleppten Brennholz zusammen und blieben am behaglichen Feuer in herrlicher Nacht bis 11 Uhr sitzen. Es war der angenehme Teil; die Nachtruhe auf dem steinigen Boden bestand dann in einem halbwachen Kampf zwischen Erfrieren und Verbrennen.
Das Larsenntal bei Mils bei Imst
Am 26. August setzten wir den Weg thalein fort. Durch die „Hölle“; wie die in schwarzes, bröckliges Material eingerissene Stelle der Bachschlucht genannt wird, führt er ans rechte Ufer, kehrt jedoch bald ans linke zurück. Wir verlassen allmählich die düstere Thalkehle, trichterförmig erheben sich um uns gut bewachsene Hänge, die Ausläufer der Hochterrassen. Hier trotzt eine Wieseninsel von zwischen tief eingerissenen Bachschluchten dem Ansturm der Elemente; auf ihr liegt die Hütte der Bauhofsalpe (1480 m und 3 ½ St. von Mils).
Wir wendeten uns südwestlich und folgten dem häufig in seinem Geröll verschwindenden vom Senfterberg kommenden Seitenbach aufwärts. Nach einer Stunde wichen wir vor einer vom Bach übersprungenen Felssperre wieder ans rechte Ufer aus und gewannen im Zickzack über Wiesen die hügelige Hochfläche, welche als Senfterberg bezeichnet wird. Wir trafen hier die steinerne Umfassung einer abgedeckten und wohl ganz außer Betrieb gesetzten Sennhütte nebst Sennkeller. Wir hatten ursprünglich vor, das Wildkarjoch zu überschreiten. Da der Führer bestimmt erklärte, dass man von dort nicht zur Spitze gelangen könne, beschlossen wir den Übergang ins Tagkar, gingen bis zum Auslauf des Felskamms unterhalb der Hütte zurück und querten das Tagkar in Richtung zum Gipfel des Bergwerkskopfs. Dort zogen sich aus den Felsen einige Schneefelder ins Kar herab, die wir für den Anstieg ins Auge fassten. Wir querten die Schneefelder und drangen zwischen den vorgeschobenen Wandcoulissen und den Gipfelkörper steil aufwärts bis die Schwierigkeit und Unüberwindbarkeit des Terrains uns veranlasste Halt zu machen und den Führer zur Erkundung dieses wenig Hoffnung erweckenden Abschnitts vorauszuschicken. Nach länger als 1 Stunde kehrte er mit der Versicherung zurück, dass auf der Ostseite wegen glatter Wände keine Besteigung möglich wäre. Wir stiegen also wieder eine Strecke in der Ostflanke hinab, umgingen den Gipfel möglichst hoch bleibend auf der Ostseite und überstiegen den Grat, welcher den Bergwerkskopf mit dem Hauptkamm verbindet, bei seinem nicht weit unter der Spitze erfolgenden Anschluss an den Gipfelkörper (2670 m). Schlenker- und Dremelspitze mit ihrer geheimnisvollen, zackenstarrenden Umgebung lagen vor uns. Aus dem Steinkar glänzte noch vor ausgedehnten Schneefeldern umlagert, der Steinsee herauf. Durch die Kluft zwischen Gipfelkörper und Verbindungsgrat erreichten wir den Fuss der großen Nordwand und über eine ungeheure Geröllhalde absteigend auf der sanftwelligen Terrasse des Steinkars unter der Vorderen Dremelscharte liegenden Steinsee. Wir stiegen durch die Bachschlucht ins Starkenbachthal und dem zufolgend ins Innthal ab. Der Umstand, dass ich von der Beschaffenheit der vom Führer vorgefundenen Hindernisse nicht persönlich Augenschein genommen hatte, veranlasste mich, die Angelegenheit noch einmal und möglichst gründlich vorzunehmen.
Der Bergwerkskopf

Zweite Tour: Zum Bergwerkskopf durchs Starkenbachthal
Originalbericht von Anton Spiehler aus dem Jahr 1885

Im Jahr 1885 hielt ich in den angrenzenden Dörfern des Innthals Umfrage nach den tüchtigsten Gemsenschützen und wurde übereinstimmend nach Starkenbach speziell in die Schmiede gewiesen, die zugleich wirtschaftet. Hier brachte ich ein ganzes Sachverständigen-Collegium zusammen. Bestehend in dem alten Schmied Hammerl, seinen etwas jüngeren Bruder, dem 24 Jahren alten Sohn Alois und dessen 37 Jahre alten Jagdgenossen Alois Saurer. Der Bruder war s.Z. der verwegenste, ein echter Deffreggenkopf aus dem „letzten Aufgebot“. Er deponierte im Namen der älteren Generation wie folgt: Auf den Bergwerkskopf könne kein Mensch hinauf. Der habe auch nie ein Signal gehabt. In alten Zeiten habe man hinauf können, wenn auch sehr schlecht, aber durch einen Absturz sei das anders geworden. Ein alter berühmter Gemsschütz, sein Lehrmeister im Waidwerk habe ihm als Knabe erzählt, er sei einmal droben gewesen. Auf dem Spitz habe er den verrosteten Stutzen eines Wilderes vorgefunden, ferner die Knochen eines Pferdefusses samt den Hufeisen daran. Die Jüngeren sagten, sie seien auf der Jagd oft genug rings um den Kopf gekommen, um die Besteigung hätten sie sich aber nie gekümmert, da keine Gemsen hinaufsteigen.

Als Begleiter wählte ich dann Alois Hammerl, einen langen und geschmeidigen Burschen, der als flinker und sicherer Felskletterer im Innthal weit auf und ab seines Gleichen suchen dürfte. Alois Sauer munterte ich durch eine Prämie für den Fall des Gelingens zur Teilnahme auf. Als Tag der Besteigung wurde Montag der 17. August 1885, als Ort des Zusammentreffens die Steinhütte festgesetzt.
Am folgenden Morgen trafen die beiden Gemsschützen bei der Hütte ein, versehen mit einem tüchtigen Seil, wie ich ihnen aufgetragen hatte. Am Fusse der großen Nordwand angelangt, entsandte ich Hammerl auf unserem früheren Weg links um den Kopf herum, während ich mit Sauer auf einem geröllbedeckten Gesims, das rechts aufwärts die steil abfallende Gratfortsetzung durchzieht, den Grat westlich des Bergwerkskopfs erstieg. Wir hatten nun den schwindligen Grat zu folgen, links den Abfall der oft erwähnten Nordwand, rechts starkgeneigte Platten, in deren schmale Risse wir die Eisen einsetzten. Angesichts der gefährlichen Situation sicherten wir uns gegenseitig mit dem Seil. Noch einige Schritte auf dem jetzt gangbaren Trümmer-bedeckten Grat und die Spitze des Bergwerkskopfs ist erreicht, eine nordsüdlich gerichtete, schmale und kurze Gratstelle, die von meinen beiden Steinmännern fast ganz eingenommen wird. Wir selbst trafen keine Anzeichen früherer Besteigungen. Beim Rückweg gegen den Steinsee stiegen wir zur Abwechslung etwas tiefer ab und überstiegen den Grat fast genau an seiner tiefsten Stelle, ehe er sich wieder zu einer Gruppe von Zacken erhebt. Bei der Steinseehütte entließ ich die wackeren Schützen. Folgenden Tags überstieg ich bei regnerischer Witterung die Hintere Dremelscharte und gelangte ohne Schwierigkeiten nach Parzin von da auf bekannten Steigen nach Boden.
Die Große Schlenkerspitze
Als ich mit Michl Friedel, der in Boden als der beste Schütze und Kletterer galt, vom Jochweg abbog, um die Gegend um Fundeis besser kennen zu lernen, trafen wir einen ausgeprägten Steig der zur Fundeishütte führt. Diese Galthütte, erst jüngst an Stelle der alten Hütte errichtet, war damals eine unerhörte Neuerung in den Lechthaler Bergen.
Es war eine „richtige“ Hütte, gemauert und gezimmert, man konnte in ihr aufrecht stehen und neben den Hirten fand noch ein oder der andere Gast Raum auf der Pritsche. Der alte Satz, dass der Hirte, der den Sommer in den entlegenen Karen mit dem Vieh verbringt, auch gleich dem letzteren zu halten sei, ist erschütternd und die von den Imstern begonnene sociale Bewegung wird sich nicht aufhalten lassen. Schon ist inzwischen die Parzinhütte modernisiert und auch in ferneren Bezirken sprechen die Hirten bereits von Menschenrechten.
Mit dem Vordringen im Fundeisthal war der Gipfel der Schlenkerspitze sichtbar geworden. Er bildete jetzt unser Ziel. Wir hielten Anfangs östlich gegen das Galtseitenjoch und stiegen dann mehr nach links gegen den Gipfel gewendet, über Geröllhalden und Schnee zum Grat auf den wir nach Anlegen der Eisen bei rauher, stürmischen Witterung in Richtung zum Gipfel verfolgten. Wir mussten nach links ausweichen und zu diesem Zweck wieder absteigen bis ein Gesimse den Quergang ermöglichte. Dieses führte zu einer hoch und steil aufwärts ziehende Schneeschlucht, jenseits deren unpassierbare Wände aufragten. Abwärts schien sie über Abstürzen zu münden. Wir stiegen die Schlucht hinan. Hier konnten wir rechts austreten, in Verfolgung dieser Richtung über den jetzt aperen Fels und schmale Geröllgesimse eine Art Vorsprung und aufwärts über brüchiges, wenig Halt gewährendes Gestein erreichten wir den Gipfelkopf der Schlenkerspitze.
Besteigungsspuren waren nicht vorhanden; wir setzten einen kleinen Steinmann.
Die Witterung hatte sich in der angenehmsten Weise verändert und die ungeheure Rundsicht war fast ungetrübt. Den Abstieg nahmen wir auf gleichem Weg bis zum bandförmigen Schneefeld, dem wir vollends abwärts folgten. Dann machten wir den kurzen Abstecher zum Brunnkarjöchl. Der Abstieg von hier über Geröll gegen Lorsenn bietet kein Hindernis. Zwei Jochadler stiegen über uns auf, von denen Friedel zu erzählen wusste, dass sie in der Lorsenn horsten und vor Kurzem ein Schaf vor Augenzeugen davongetragen hätten.

Nachfolgend weitere Bilder aus dem Larsenn und Starktal,
zur Verfügung gestellt von Hubert Schöpf, Bergrettung Schönwies und Hartmut Neurauter